Literaturzirkel: Glaubenspolaritäten - Liebe (Gerhart Hauptmann: Bahnwärter Thiel)

Literaturzirkel: Glaubenspolaritäten

Der Philosoph Haddaway stellt uns am Ende des 20. Jahrhunderts die große Frage: „What is love?“ In seinem Text illustriert er anschließend Phänomene, die häufig für Liebe gehalten werden, ohne tatsächlich Liebe zu sein - etwa Verliebtheit und emotionale Abhängigkeit. Diese gängige Verwechslung bringt er mit der wiederkehrenden Textzeile „baby don’t hurt me, don’t hurt me no more“ zum Ausdruck, um so die destruktiv-leidenschaf(f)tliche Komponente dieser nur scheinbaren Liebe zu betonen.

Auch viele Texte des deutschen Literaturkanons erzählen von den Irrungen und Wirrungen des mensch-lichen Daseins, denen oft ein Ungleichgewicht der großen Quellen – Weisheit, Erkenntnis, Liebe und Ordnung – zugrunde liegt. Im Literaturzirkel werden wir uns mithilfe von literarischen Klassikern dem Konzept der Glaubenspolaritäten annähern und dieses für uns begreifbarer und erfahrbarer machen. Dabei werden wir der ehrfurchtsvollen Schwere, die manchen dieser Werke anhaftet, mit einer neugierigen Leichtigkeit begegnen und uns in die Tiefen und Höhen dieser Meisterwerke vorwagen.

Auch wenn die Schule so manch einem und einer von uns die Lektüre dieser großartigen Bücher nachhaltig versaut haben mag, werden wir diesen vermeintlich verstaubten Schinken neues Leben einhauchen und sie für uns zurückerobern. Und wiewohl die Verfasser der ausgewählten Werke ausschließlich männlich sind – und zudem auch die Titel samt und sonders Männernamen beinhalten – werden wir diesen patriarchalen Schöpfungen gemeinsam jedes letzte Quäntchen an Universalismus abringen, um das Kleine im Großen und das Allgemeine im Besonderen sichtbar zu machen.

Methodisch werden wir uns den Werken auf unterschiedliche Arten annähern, etwa durch gemeinsame Lektüre und Diskussion von Schlüsselstellen in Kleingruppen und im Plenum. Auch der kreativen Aus-einandersetzung mit den Inhalten sowie der Verknüpfung mit eigenen Vorstellungen, Werten und Impulsen geben wir Raum. Zudem werden wir immer wieder strukturelle und systemische Frage- und Problem-stellungen reflektieren und uns der Frage widmen, wie wir all das neue Wissen gut für uns und unsere Arbeit mit anderen Menschen integrieren können.

Selbstverständlich können die Module auch einzeln besucht werden. Formale Voraussetzungen gibt es keine, wobei es durchaus Sinn macht, die Werke vor den Treffen zumindest querzulesen oder sich in Form von Hörbüchern/-spielen zuzuführen. Links und Tipps dazu wird es in einer Nachricht rund vier Wochen vor dem jeweiligen Termin geben. Insbesondere für die Module 1 und 2 gilt: Bitte keinesfalls von der mitunter unzugänglichen Sprache abschrecken lassen - besser gänzlich unbeleckt kommen als gar nicht! :)

Anmeldung bitte asap, spätestens aber bis vier Wochen vor dem Termin unter mikolaschtanja@gmail.com

Modul 3: Liebe

Gerhart Hauptmann: Bahnwärter Thiel

Tschu-tschu-tschu macht die Eisenbahn und begräbt unter sich alles, was dem Bahnwärter Thiel lieb und teuer ist. In diesem Werk des Naturalismus bricht der Zug als Symbol für die Industrialisierung in die bisher gekannte Ordnung der Menschen. Für Thiel symbolisieren die Gleise gleichzeitig die Grenze zwischen seinen beiden säuberlich getrennten Welten: seinem Bahnwärterhäuschen, in dem er seiner geliebten verstorbenen Minna huldigt und sich bis zur Trance nach ihr verzehrt. Und seiner Hütte mit seiner neuen Frau Lene, die er aus pragmatischen geheiratet hat, um seinen Sohn Tobias versorgt zu wissen – und der er körperlich völlig verfallen ist. Diese Spaltung und Zersplitterung Thiels sowie seine situative Sprachlosigkeit enden schlussendlich fatal. Gemeinsam werfen wir einen genaueren Blick auf die unterschiedlichen Ausprägungen von Thiels Liebe: der vergeistigt-idealisierenden, der triebhaft-pragmatischen und jener zu seinem Sohn. Auch der Entfremdung als Folge der Industrialisierung und des technologischen Fortschrittes werden wir uns widmen – und einen Exkurs zum Thema „Die Liebe in Zeiten der Digitalisierung“ wagen. 

Zeit & Ort: 31. Mai 2025, 10.00-16.00, Ort wird noch bekanntgegeben (Linzer Innenstadt)

Kosten: 50,-